Der frühe Renntermin Mitte Mai erleichtert die sowieso schon recht umfangreiche Vorbereitung auch nicht gerade zumindest wenn man sich als normaler Mittel- oder Nordeuropäer nicht monatelang fürs Training in den Süden absetzen kann. Mein erster offizieller Trainingstag war der 1. November 2012. An diesen Tag erinnere ich mich noch sehr genau, da meine geplante Radeinheit nach circa 600 Metern am Schäftlarner Kreisverkehr ein jähes Ende fand. Altes Streusalz des ersten Schneefalls einige Tage zuvor, Rauhreif von der kalten Nacht sowie möglicherweise etwas Öl hatten eine geradezu perfekt glatte Oberfläche geschaffen, auf der ich mit meinen Rennradreifen nicht den Hauch einer Chance hatte. Das Vorderrad rutschte nach rechts weg, ich schlug mit der linken Seite auf, zerdepperte mir die Brille und schlidderte auf Hüfte und Ellbogen an den Straßenrand. Der Schaden hielt sich einigermaßen im Rahmen: Schürfwunden, Prellung an der Hüfte, blutende Augenbraue, zerbrochener Helm, beschädigtes Rad. Nach kurzer Begutachtung und Wundversorgung zuhause beschloss ich, den freien Tag (Feiertag und Familie unterwegs) doch noch für Training zu nutzen und eine 25-km-Laufrunde durch den Forstenrieder Park zu absolvieren.
Jetzt bleiben mir also noch drei Stunden bis zum Start. Genug Zeit, um erst einmal ausgiebig (aber leicht) zu frühstücken. Im Hotel Fariones in Puerto del Carmen findet man um diese Uhrzeit selbstverständlich keine der typischen Inseltouristen an weder pensionierte Deutsche (trotz längst vergangenem Boris-Becker-Boom gerne nach wie vor in weissen Tennissocken) noch dicke Engländer (je nach Dauer des bisherigen Inselaufenthalts entweder kalkbleich oder krebsrot). Lediglich ausgemergelte Triathleten sitzen meist alleine und in sich gekehrt an den Esstischen. Die enge Funktionskleidung bringt die Bräune ihrer rasierten Beine noch mehr zur Geltung. Es wird so gut wie kein Wort gesprochen. Die Anspannung ist mit Händen zu greifen. Man erkennt mehr Zweifel als Zuversicht.
Selbstzweifel vor dem Start
Auch ich frage mich nicht zum ersten Mal in diesen Tagen ob ich auch wirklich gut vorbereitet bin. Ich hatte in etwa den Umfang von Frankfurt 2008 absolviert: insgesamt 30 Wochen mit durchschnittlich 13 Trainingsstunden pro Woche, was einem Gesamtpensum von 4.300 km auf Home-, Mountain-, Renn- und Triathlon-Bike, 1.150 km Laufen, 930 km auf Langlauf-Skiern, 135 km Schwimmen und knapp 30 Stunden Kraft-/Stabi-Übungen (manchmal auch familienfreundlich anhand der Bauch, Beine, Po-DVD) entspricht. In Summe recht ordentlich und stabil ohne größere Ausfälle durch Krankheit o.ä., aber nach meiner Einschätzung schon eher an der Untergrenze für jemand, der auf die Hawaii-Quali schielt.
Die Gesamtumfänge sind das eine, was mir aber deutlich mehr zu schaffen machte als bei meinem bisherigen Power-Jahr 2008, war das Trainieren über die dunklen und kalten Wintermonate. Wiederholtes Laufen bei strömendem Regen, Langlaufen in der Dunkelheit und Radeln in der Kälte entzogen mir unerwartet viel Kraft. Und dann suche ich mir zu allem Überfluss auch noch das trübste und kühlste Frühjahr seit 30 Jahren aus…
Wie es die meisten Triathleten wahrscheinlich kennen, muß man da ab und zu mit dem Kopf durch die Wand, um den Trainingsplan zumindest annähernd einzuhalten. Das äußert sich dann in Aktionen wie Schwimmen von 21.30 bis 23 Uhr im Dante-Bad auf dem Rückweg von einem Geschäftstermin in Stuttgart. Skating von 19 bis 20:30 Uhr bei Flutlicht oder zumindest mit Stirnlampe, um nicht von den Pistenraupen überfahren zu werden (nach einem langen Alpin-Tag mit der Familie). MTB-Ausfahrt im Schnee bis entweder die Beine komplett taub oder die Schaltung eingefroren ist. 25 km Waldlauf nach vorherigem Radsturz (siehe oben).
Man fühlt sich in solchen Situationen nicht ganz so als arme Wurst, wenn man von ähnlichen Erfahrungen anderer verrückter Athleten erfährt. So lese ich zum Beispiel von Christian Müller, letztes Jahr schnellster Amateur auf Hawaii, dass dieser seine finalen Freiwassereinheiten frierend und bei völliger Dunkelheit zu Ende bringen musste, wobei er nur aufgrund einiger beleuchteter Gebäude eines nahen Kieswerks noch den Weg zurück ans Ufer fand.
Endlich: Der Renntag ist da!
Am Ende war ich jedenfalls froh, dass der Renntag 18. Mai näherkam. Die abschließende Saltin-Diät (3 Tage so gut wie keine, dann 3 Tage vor dem Rennen ganz viel Kohlenhydrate, um eine überdurchschnitt-liche Glykogen-Einlagerung zu erreichen) überstand ich auch noch. Anreise und ein paar letzte lockere Einheiten auf Lanzarote verliefen problemlos. Lediglich meine rechte Wade fühlte sich verhärtet an, so dass ich noch eine kurzfristige physiotherapeutische Behandlung bei Meister Miguel (Miguel Labrador, 10-maliger IM Lanzarote-Finisher; er behandelt auch einige Profis) einschieben musste. Dann war ich bereit für das Race.
Zurück im Zimmer gilt es Schritt für die Schritt die weitere Vorbereitung auf das Rennen abzuarbeiten in voller Konzentration und einem hundert Mal durchdachten Plan folgend: Sonnencreme, Scheuerschutz, Sattelgel, Pulsgurt, Pulsuhr, Timing-Chip, Tacho, Trinkflasche, Salztabletten, Energie-Riegel/-Gels, Gummi-Bänder zum Fixieren der Radschuhe, Renntrikot, Wärmekleidung, Neo, Schwimmbrille, Badekappe. Rad- und Laufutensilien hatte ich bereits am Vortag eingecheckt.
Um 5:30 Uhr mache ich mich auf den Weg runter in den Startbereich. Die 1.900 Mitstreiter scheinen bereits alle da. Wie beim Frühstück ist die Stimmung gedämpft, die Stimmen sind leise, nur selten hört man ein kurzes Lachen, aus den Gesichtern spricht Verunsicherung statt Vorfreude. Letzte Vorbereitungen am Rad werden getroffen. Es beginnt zu regnen auf Lanzarote. Das letzte Mal war das am Renntag vor 13 Jahren der Fall. Wir Athleten leiden darunter weit weniger da inzwischen in unsere Neos gezwängt als die trotz Dunkelheit bereits zahlreich anwesenden Fans.
Dass ich mit meinen absolvierten vier Langdistanz-Triathlons kein absoluter Anfänger mehr bin, wird mir im Umkleidezelt bewusst. Hier beobachte ich einen eher der Kategorie Jumbo zuzuordnenden Athleten, wie er seinen Neoprenanzug über eine weisse Baumwoll-Unterhose in Grösse XXL zieht. Einen anderen Mitstreiter hat der Regen wohl kurzfristig zu dem Entschluss gebracht, mit Windweste Rad zu fahren diese aber auch schon unter dem Neo beim Schwimmen zu tragen.
Überhaupt reicht es nicht, sich physisch und mental entsprechend auf das Rennen vorzubereiten auch das Equipment und die Logistik müssen stimmen. Während der Registrierung zwei Tage vor dem Rennen sieht man auf der Expo z.B. immer wieder Athleten, die sich noch mit neuem, noch nie getestetem Material eindecken. Selbst erfahrenen Cracks wie meinem Freund Hauke, der bereits mehr als 10 Ironman-Rennen gefinisht hat, unterlaufen technische Fehler: aufgrund ausgebuchter Radtransport-Kapazitäten der aus Deutschland einfliegenden Airlines leiht er sich vor Ort auf Lanzarote drei Tage vor dem Rennen ein Rad. In Teguise bei Kilometer 90 wird er entnervt vom Bike steigen und das Rennen aufgeben.