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Immunsystem: Der Steuermann des Stoffwechsels und der Energieverteilung

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Triathlon läuft selten unter der Kategorie einer moderaten sportlichen Belastung, sondern bedeutet in vielen Fällen körperliche Stressbelastung pur. Um den Anforderungen unter Stress gewachsen zu sein, besitzt der Körper drei auf das engste vernetzte Systeme, die alle Prozesse im Körper koordinieren und gegebenenfalls beschleunigen: das Nervensystem, das Immunsystem und die Hormone. Wir wollen die Ereignisse aus dem Blickwinkel des Immunsystems beobachten: wie dieses den Stoffwechsel unter Stress regelt und Entzündungs- und Heilungsprozesse erzeugt und steuert, die wiederum die Verfügbarkeit von Energie zu ihren Gunsten verändern. Beide Aspekte beeinflussen Ihre Energiebilanz als Ausdauersportler der extremeren Sorte.

Der Energiehaushalt ist eine sehr sensible dynamische Größe. Steigt die Körpertemperatur nur um 1° Celsius, steigt der Energieverbrauch um 10 bis 15 Prozent. Ebenso erhöhen Schmerzen, Aufregung oder ein erhöhter Muskeltonus den Energiebedarf. Infekte und Verletzungen können mit bis zu 30 Prozent Erhöhung zu Buche schlagen. Es wird deutlich, wie schnell sich das eigene Energiegleichgewicht verändern kann und damit die Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird. 

Energieversorung folgt einem hierarchischen Prinzip 
Die Energieverteilung folgt dabei einer strengen hierarchischen Ordnung. Ganz oben in dieser Pyramide steht der Heilungsprozess. Das bedeutet, dass erzeugte Energie zu aller erst den Heilungsprozessen im Körper zugeteilt wird. Bei dieser Energieverteilung spielt das Immunsystem die zentrale Rolle. Krankheiten und Verletzungen verhalten sich also wie energieabsaugende Parasiten. Als nächstes werden die für ein Überleben zentralen Organe wie Gehirn, Lunge, Herz und Nieren mit Energie versorgt. Aus dieser hierarchischen Energiepyramide sieht man deutlich, was passiert, wenn ein Energiedefizit vorliegt oder die Regulationssysteme versagen: 

Auch ein gut trainierter Sportler kann deshalb einen Anstieg der Körpertemperatur und der Atemfrequenz, einen Abfall des Glukosespiegels, das Versagen der Muskeln, Herzrhythmusstörungen oder gar einen Kreislaufkollaps erleben. 

Stress fordert das Immunsystem als Stoffwechselregulator 
Das Immunsystem ist vor allem dann in die Stoffwechselregulation eingebunden, wenn die körperliche Belastung so groß wird, dass die Stressverarbeitungsprogramme des Körpers aktiviert werden müssen. Denn je größer die Stressbelastung während des Trainings oder des Wettkampfes wird, desto mehr Anpassungsleistungen werden dem Körper abverlangt. 

Bei einer Ausdauerbelastung im Grundlagenausdauerbereich gleicht die Stoffwechselsituation der im Hungerzustand und ist relativ stabil. Der Fettstoffwechsel dominiert und eine Ökonomisierung der Energieversorgung aller Organfunktionen erfolgt und gelingt auch in der Regel. Anders ist dies, wenn im Wettkampf Höchstleistungen gefordert sind. Es etabliert sich eine Akut-Phase-Antwort, die mit einer Abnahme der Stabilität des Körpers verbunden ist. Irgendwann sind die Energiedepots erschöpft und Regulationsprozesse stoßen an ihre Grenzen: Muskeln machen dicht, die Darmschleimhaut macht dicht, die Bronchien machen dicht… Viele von Ihnen kennen diese Probleme bei Höchstbelastung. Wenn Sie mit einem angeschlagenen Immunsystem an den Start gehen, das mit Heilungsprozessen beschäftigt ist, dann stößt die Energieversorgung zudem um vieles schneller an ihre Grenzen. 

Zytokine regulieren den Fluss der Energie 
Eine Vielzahl an Regulationsprozessen garantiert, dass sich Herz, Kreislauf und Atmung an die Erfordernisse anpassen, dass Energiedepots aktiviert werden, der Glukosespiegel im Blut nicht abfällt, die Körpertemperatur annähernd konstant bleibt, dass die Muskeln Energie für ihre Arbeit erhalten und trotzdem alle lebenswichtigen Organe wie das Gehirn ausreichend mit Energie versorgt werden. Das Immunsystem wird innerhalb der ersten Minute der Stresseinwirkung bereits aktiviert. Es leitet zusammen mit dem autonomen Nervensystem die biologische Stressantwort ein, die von Seiten des Immunsystems durch die Freisetzung bestimmter Zytokinprofile charakterisiert ist. Die Kohlenhydratspeicher in Muskel und Leber werden durch diese aktiviert und Glukose als effizientester Energieträger an die Orte des Bedarfs transportiert. Zytokine koordinieren so u.a. die Körperfunktionen im Akutfall. 

Hartes Training und Wettkampf: Immer ein Drahtseilakt 
Man bezeichnet die typischen biologischen Reaktionen im Rahmen von Stress wie beschrieben auch als Akut-Phase-Antwort. Je höher die Belastung wird, desto eher entwickelt sich eine für Stressreaktionen typische sensible Stoffwechselsituation, in der die Abbauprozesse langsam überhand nehmen und der Gleichgewichtszustand des Körpers an Stabilität verliert. Zytokine wie Interleukin-1, Tumor-Nekrose-Fraktor und Interleukin-6 sind zentrale Stoffwechsel-Akteure, indem sie die Glukoseströme dirigieren und die Abbauprozesse von Kohlenhydraten und Fetten anheizen. Sie fördern aber auch Entzündungsprozesse, die im Rahmen der Stressantwort jenseits der Grundlagenausdauerbelastung immer eine wichtige Rolle spielen (siehe unten), erhöhen die Durchlässigkeit der Gefäße und bei chronischem Stress wird unter ihrem Einfluss Muskeleiweiß abgebaut. Die Gegenregulation durch andere Zytokine des Immunsystems wie Interleukin-4 oder -10 ist deshalb ebenso wichtig. Anhand dieser Beispiele können Sie ansatzweise ersehen, wie viele Faktoren optimal zusammenspielen müssen, damit Ihr Leistungsniveau erhalten bleibt. 

Entzündungs- und Heilungsprozesse entziehen dem Muskel Energie 
Eine Stressantwort wird immer von Entzündungsprozessen begleitet. Im Rahmen von Stresseinwirkungen verändern sich nicht nur Parameter wie Herzfrequenz, Blutdruck oder Atemfrequenz, auch die Durchlässigkeit der Schleimhäute erhöht sich kritisch und stellt vermehrte Anforderungen an das Immunsystem. Zudem können bereits bestehende Beschwerden vom banalen Schnupfen bis zu chronischen Verletzungen die Energiebilanz und ihre Regulation dramatisch beeinflussen. 
Die riesigen Schleimhautoberflächen von Darm (300 bis 400 qm) und Bronchien (70 bis 80 qm) werden ständig von einer immensen Flut von Antigenen (Nahrung, Bakterien, Viren, anorganischen Partikel) überschwemmt. Daraus resultieren Abertausende von Signalen, die in erster Linie vom Immunsystem verarbeitet werden. Diese Verarbeitungsprozesse an den Grenzflächen nach Außen manifestieren sich in unterschwelligen Mikroentzündungsprozessen bzw. Immunreaktionen, die ständig gebremst werden müssen, um keine Kollateralschäden zu verursachen. Dieser latente Entzündungszustand, den wir letztlich weder durch ein beeinträchtigtes Wohlbefinden noch durch Schmerzen oder durch andere Erkrankungen wahrnehmen, wird ab einer bestimmten Dimension zur Erkrankung. 



Stress-Situationen verschlimmern Entzündungszustände und können deshalb Erkrankungen zum Ausbruch bringen. Das kann ebenso eine Allergie, eine Infektion, eine Verletzung, wie auch ein Muskelfaserriss oder eine Sehnenreizung oder aber eine chronische Schmerzsymptomatik sein. Bestimmte Zytokine des Immunsystems spielen eine besondere Rolle, wenn es darum geht, die START- und STOPP-Signale der Mediatoren des Entzündungsgeschehens zu koordinieren und im Gleichgewicht zu halten. Diese Zytokine steuern auch den Energiefluss im Körper. Es handelt sich wiederum um die Interleukine eins und sechs. Aufgrund der ständigen Reizflut von Außen, aber auch von Innen, befindet sich der Organismus unter stetem Entzündungsdruck, der Gegenregulation benötigt, um zu Überleben. 
Unter Stress wie Wettkampfsituationen kann die Schleimhautbarriere sogar soweit zusammenbrechen, dass keine Resorption mehr erfolgt. Der Darm reagiert nicht mehr, verhält sich wie gelähmt. In dieser Phase ist das Immunsystem besonders gefordert, da Bakterien und Toxine in den Organismus eingeschwemmt werden können und einen Teufelskreis der Immunprovokation einleiten. (Abb. Schleife: START-STOPP) 

Praktisches zum Schluss 
Es handelt sich immer wieder um die selben altbekannten Tipps, die, auch wenn sie allen einleuchten, in der Praxis viele kontroverse Diskussionen auslösen und immer eine individuelle Anpassung erfordern: optimale Trainingsmethode, Ernährungskonzept oder besser gute Essgewohnheiten, nicht zu vergessen mentales Training – die Methoden ebenfalls ein Streitpunkt – und entsprechende unterstützende Maßnahmen aus dem breiten des ebenfalls heiß diskutierten Fächers der Nahrungsergänzungen. Ich hoffe, es wird aus diesem 2. Beitrag zum Thema Immunsystem erneut ersichtlich wie wichtig seine Stabilität und Anpassungsfähigkeit für optimale Leistungsfähigkeit ist.

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