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Muskelanpassung: In der Ruhe liegt die Kraft (Teil 1)

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Der Zusammenhang, wie sich die Arbeitsmuskulatur an gesteigerte Belastungen anpasst und dabei Muskelwachstum initiiert, ist höchst komplex. In zwei Teilen wollen wir Ihnen einen Einblick geben, sowie Tipps für die tägliche Trainingssteuerung ...

Der Zusammenhang, wie sich die Arbeitsmuskulatur an gesteigerte Belastungen anpasst und dabei Muskelwachstum initiiert, ist höchst komplex. Das Thema bietet eine spannende Debatte wie und ob ein Muskel überhaupt jemals seine Belastungsgrenze erreicht. In einer zweiteiligen Serie wollen wir Ihnen diese noch kontrovers geführte Diskussion darstellen, die für Ihre allgemeine Trainingskonzeption und tägliche Trainingsteuerung äußerst interessant ist und sicherlich neue Aspekte in die teilweise sehr ausgetretenen Pfade bringt.

Jede Muskelfaser ist über eine Nervenzelle (Motorneuron) mit dem zentralen Nervensystem verbunden und von Bindegewebe umgeben. Der Muskel als funktionelle Einheit besteht aus einer Muskelfaser, einer Nervenzelle, einer Bindegewebehülle und einem dichten Gefäßnetz, ebenfalls eine Grundvoraussetzung für eine intakte Muskelfunktion.
Mehrere Muskelfasern werden durch Bindegewebe zu Bündeln zusammengefasst. Das Bindegewebe ist für einen funktionierenden Muskel von ebenso großer Bedeutung wie die Muskelzellen, denn nur durch das Bindegewebe kann eine koordinierte Übertragung der Kontraktionen auf Knochen und Gelenke erfolgen. Erkrankungen und Überbelastungen in diesem Bereich können ebenso wie Muskelverletzungen zu Beeinträchtigungen der Leistung und zu Schmerzen führen.

Muskelfasern bilden somit eine komplexe funktionelle Einheit, in der einige Kunststücke vollbracht werden müssen. Einmal muss ein mechanischer Reiz in einen biochemischen verwandelt werden, der eine Kontraktion der Muskelfaser auslöst. Die Kontraktion ist prinzipiell ein Gleitmechanismus, bei dem die dicken Myosinfilamente über die dünnen Actinfilamente gleiten. Diese Kontraktion muss koordiniert und in ausreichend vielen Muskelfasern erfolgen, damit sich äußerlich sichtbar über Sehnen und Gelenke Bewegung und Kraft entfalten.

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Aus Schaden wird der Muskel klug
Dieses mechanische Geschehen soll im Training möglichst so zurückübersetzt werden, dass als Nettoergebnis die Proteinsynthese initiiert wird, die für den Muskelaufbau und die Anpassung des Muskels an erhöhte Anforderungen unbedingt erforderlich ist. Ähnlich wie beim Nervengewebe so war man auch beim Muskelgewebe lange der Ansicht, dass es nicht regenerieren könne. Das hätte allerdings zur Folge, dass Ihr Training ohne Erfolg bleiben müsste. Muskelzellen regenerieren jedoch sehr wohl. Sie passen sich auch gesteigerten Anforderungen an, allerdings verläuft dieser Prozess langsam und ist nur durch jahrelanges, oft mühevolles Training zu erreichen. Hört man mit dem Training völlig auf, bilden sich die meisten Trainingseffekte leider wieder zurück.

Jeder Trainingseffekt beginnt mit zellulären Schäden, die durch die mechanische Muskelbelastung entstehen, sowie einer gewissen Störung des Stoffwechsels. Dadurch werden Prozesse der Stoffwechselanpassung, der Transportsysteme, die zelluläre Reparaturfähigkeit und Proteinsynthese eingeleitet. Die Anpassungsleistungen durch Ausdauertraining sind eine erhöhte Auswurfleistung des Herzens und eine erhöhte Sauerstoffextraktion. Die Sauerstoffaufnahme durch das Gewebe wird verbessert. Zudem kommt es zu einigen strukturellen und metabolischen Veränderungen im Muskel. Training verbessert die durch Insulin vermittelte Durchblutung des Muskels und die Glukoseaufnahme durch den Muskel. Die Kapazität des Muskels alternative Energieträger als Ersatz für Glukose zu nutzen steigt. Pyruvate (Bruchstücke von Kohlenhydraten), Fettsäuren und Ketonkörper (in der Leber gebildete Verbindungen, die in Hungerzeiten vermehrt verstoffwechselt werden) können leichter verbrannt werden, da die in den Mitochondrien dafür notwenigen Enzymspiegel ansteigen. Als Folge des Trainings kommt es im Zusammenhang mit diesen Veränderungen auch zu einer Verschiebung von schnellen leicht ermüdbaren Typ-II-Muskelfasern zu langsameren gegen Müdigkeit resistenten Typ-I-Fasern.

Muskelanpassung durch Mikroverletzungen
Mittlerweile setzt sich in der Wissenschaft vermehrt das Modell durch, dass Muskelwachstum nur initiiert wird, wenn Verletzungen, seien sie auch noch so klein, in den Muskelfasern vorliegen. Ausdauertraining geht immer mit zahllosen Mikromuskelfaserverletzungen einher. Allein die mechanische Belastung des Muskels führt zu Mikroläsionen der Muskelfasern, aber auch Durchblutungsstörungen, Temperaturschwankungen, pH-Wert-Verschiebungen oder die Anhäufung freier Sauerstoffradikale. Der Anstieg der Creatinkinase und des Myoglobins im Serum ist ein Hinweis für das Ausmaß der Muskelfaserverletzungen.

Ab- und Aufbau greifen Hand in Hand
Diese Mikroläsionen bilden den Reiz für die Entstehung eines Entzündungsprozesses. Und hier taucht es schon wieder auf, das Immunsystem, als ein System das Entzündungen und Heilungen hervorbringt. Durch die kleinsten Faserrisse werden Zytokine wie Interleukin-6, Interleukin-1, Tumor-Nekrose-Faktor und transformierender Wachstumsfaktor-beta freigesetzt, aber auch Wachstumsfaktoren wie IGF-1 (ein Insulin-ähnlicher Wachstumsfaktor). Im Muskel entsteht zunächst ein aktives Milieu, das Immunzellen wie weiße Blutkörperchen (neutrophile Granulozyten, Makrophagen oder Fresszellen) anlockt. Es sind vor allem die Makrophagen, die durch Freisetzung hunderter von Start- bzw. Stoppsignalen den Heilungsprozess koordinieren. Das zerstörte Muskelgewebe wird abgeräumt. Wenn diese Abbauvorgänge fast abgeschlossen sind, werden überlappend bereits die Aufbauvorgänge initiiert. Auf dieser Ebene wird deutlich wie eng Stoffwechsel- und Entzündungsprozesse verknüpft sind. Muskelzellen vermehren sich, wandern zu den Stellen, wo Fasern repariert werden müssen oder bilden neue Muskelfasern, indem sie zu einer Faser mit vielen Kernen verschmelzen.
Muskelzellen setzen ebenfalls Mediatoren wie z. B. Interleukin-6 und IGF-1 frei, die nicht nur den Entzündungsprozess koordinieren und stoppen, sondern auch das Bindeglied zum Stoffwechsel bilden. Sie werden von Signalen, die katabole energieraubende Prozesse beenden, zu Signalen, Die anabole Phase des Geschehens ist durch eine sehr aktive Proteinsynthese charakterisiert. Mediatoren wie IGF-1 gehören zu den wichtigsten Katalysatoren der Eiweißbildung. Von IGF-1 wurde nachgewiesen, dass er zur Vermehrung der Muskelmasse beiträgt.

Immunsystem: Zünglein an der Waage
Wenn das Immunsystem durch Krankheit geschwächt ist oder keine Regenerationszeiten berücksichtigt werden, dann ist auch die Muskelanpassung an ein erhöhtes Leistungsniveau gefährdet. Ein Heilungsprozess, der nicht abgeschlossen wird, frisst Energie. Direkte Folge ist einer Beeinträchtigung der Eiweißbildung für den Muskelfaseraufbau. Der Anpassungsprozess des Muskels, der ja eigentlich ein Regenerationsprozess ist, wird ebenfalls nicht abgeschlossen. Damit kann entweder ein diffuser für einen selbst nicht erklärbarer Leistungseinbruch verbunden sein oder aber eine gesteigerte Verletzungsanfälligkeit von Muskeln, Bändern und Sehnen.

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