In Kona knistert die Atmosphäre

von Jens Richter für tri2b.com für tri2b.com | 18.10.2002 um 22:00
In den letzten Stunden vor dem Ironman Hawaii liegt über Kona immer eine eigenartige Stimmung: Soundcheck und Aufbauarbeiten im Halogenlicht am Pier, in den Hotels 10.000 Ironman-Gäste vor einem unruhigen und kurzen Nachtschlaf, Vorfreude und Spannung auf die Morgendämmerung. Und nichts, oder fast nichts unterscheidet nun noch die Pros von den Agegroupern ...

Wie die Heuschrecken sind sie in den letzten 20 Tagen eingefallen in Kailua-Kona, der tropischen Küsten-Kleinstadt auf Big Island: 1600 Athleten, deren Familien und Freunde, Fans und Medienschwärme haben das Tropennest in eine große, schwirrende Sportkolonie verwandelt. Hotellerie und Gastronomie reiben sich die dollargefüllten Hände. Doch die letzten Nachtstunden des ersten Freitag nach Vollmond werden regelmäßig zu den ruhigsten des Jahres – äußerlich! Denn die Stille vibriert, der Schlaf ist unruhig. Der nahende Renntag macht alle gleich Nichts daran sei für die Pros anders als für die vielen Agegrouper, findet Katja Schumacher. Irgendwann in der vergangenen Nacht ist sie mal aufgewacht - von der lauten Brandung oder doch vor Nervosität? "Anderthalb Stunden würde ich morgen nicht da drin 'rumschwimmen wollen, aber das ist ja auch nicht zu erwarten." Die hohen Wellen flößen in diesem Jahr vielen gehörig Respekt ein. Wind ist angesagt – öfter mal was neues! "Jedesmal, wenn es wieder etwas abkühlt, oder die Leute sagen, das würde es, dann freu' ich mich schon. Und dann kommt auch gleich wieder die Sonne 'raus. Meine Trinkflaschen kommen jedenfalls heute abend ins Eisfach." Race day ist eben nicht vorherzusagen, weder die Bedingungen, noch was die Athleten draus machen. "Mein Laufen ist noch besser geworden" Da hilft im Vorfeld Ablenkung, Treffen mit Freunden, Essen gehen, "nicht über Triathlon reden!" Angst wäre sicher das falsche Wort, aber "vor Hawaii habe ich besonderen Respekt, vielleicht ein wenig zu viel ... Immerhin habe ich's hier noch nie so richtig rausgefunden – vielleicht diesmal!" Dass sie sich allerdings besser auf das Rennen eingestellt hat und dass sie drei Kilogramm weniger wiegt, als in Frankfurt, das ist für Katja Grund zum Optimismus. Sie hat auch von den vielen Wetten gehört, nach denen sie beste Deutsche werden sollte. Doch sie würde eher auf Nina Kraft setzen – solange die davon nichts erfährt. Lothar gegen den Rest Solch wohlwollende Töne gegenüber der Konkurrenz hört man bei den Männern diesmal sicher nicht. Es gibt zu viele Sieganwärter, da fängt der Wettkampf schon lange vor dem Startschuss an: "Jeder hat hier irgendwie seinen speziellen 'Feind'" und oft scheiden sich an Tim DeBoom besonders die Geister. Viele haben aber auch Lothar Leder ins Visier genommen. Die harmoniefreudige Heidelbergerin kann diese Wahl nicht ganz nachvollziehen. Sie versteht sich gut mit Familie Leder, die nur einige Türen weiter wohnt. – Klingt ja auch eher nach Neid im Voraus, doch alles ist so offen, wie selten. Von "Macca" hat man gehört, er wolle mit dem schwimmschnellen Spencer Smith einen angelsächsischen Radzug aufmachen. "Mal sehen, wann die Deutschen kommen – wenn sie überhaupt kommen", soll er gesagt haben. Die german guys haben allerdings kürzlich in Kalifornien beide stehen lassen. Und Cam Brown, Tim De Boom, sogar Peter Reid? Alles scheint diesmal möglich ... Viele Hoffnungen – wenig Klarheit Karin Thürig werde aber von den meisten etwas überschätzt, meint Paula Newby-Fraser. Nach vorn fahren ja, gewinnen wohl kaum. Sie schwimmt zu schwach und hat keine Erfahrung an der Kona Coast, doch "ohne Erfahrung gewinnt man hier nicht". Die Ausnahme van Lierde möge diese Regel bestätigen. – Vor einigen Tagen hat man sich mit Natascha Badmann auf dem Queen K Highway getroffen. Doch Ehemann Toni Hasler hatte eine Stopuhr dabei und kannte keine Gnade und so endete der Small Talk recht bald auf sein Kommando: Rad-Lauf-Koppeltraining in der Lavawüste. "Überhaupt ist Natascha Badmann hier ziemlich abgeschirmt und war ja auch nicht auf der Pressekonferenz." Genau wie Lori Bowden, die war zuletzt auch kaum anzutreffen. Im Rennen allerdings würde Schumacher die Kanadierin nicht ziehen lassen, denn ihr jüngstes Szenario-Update sieht nun so aus: Nina ist erst mal vorn, Natascha und Lori kommen von hinten, aber der Schweizerin kann man nicht folgen. Was nicht heißen soll, sonst käme keiner mehr. Karen Smyers hat sich auf der Kurzstrecke schnell gemacht, wie zu ihrem Sieg vor sieben Jahren. Nicole Leder kann rennen, Paula sagt, sie habe sich zuletzt "von der Trainingmania in San Diego anstecken lassen und außerdem will ich meinen Mann (Paul Huddle, d. Red.) schlagen" – und dann die große Schweizer Unbekannte Thürig, das am hellsten leuchtende Dark Horse der letzten Dekade. Also, auch bei den Frauen gibt’s ab Platz zwei keine mutigen Vorhersagen mehr. Schwebende Trance oder harte Arbeit Bei soviel taktischem Druck kann es vielleicht helfen, wenn man sich die Renndistanz in viele kleine Etappen einteilt. Für die Ironman-Germany-Siegerin sind es jeweils 8-12 Meilen-Marken, bei denen sie weiß, was sie essen und trinken muss und was noch kommt. Etwa die langgezogenen Wellen hinauf nach Hawi, oder das harte Flachstück gegen den Wind kurz vor dem "Scenic Point", gute 20 Meilen vor dem Wechsel. "Die Trance-Zustände einer Natascha Badmann oder der Zen-Meditations-Marathon von Mark Allen sind nicht meine Welt. Für mich ist das Rennen harte und konkrete Konzentrationsarbeit: Trittfrequenz, Aerodynamik, Kühlung ..." Da hat wohl jeder seine eigene Strategie und andere Ziele. "Auf das Bier im Ziel freue ich mich dann am meisten. Und dieses Jahr schaffe ich es vielleicht auch endlich zu den Midnight-Finishes am Pier."